"Nun sprach der König zu seiner Frau: 'Wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben ...'"

German Fairy Tales

Die zwölf Brüder

Edited by Eugene R. Moutoux

 
aufschließen (o, -ossen) - unlock

aufstehen (a, a) - stand up, get up; stand open (door)

r Baum (¨-e) - tree

begraben (ä; u, a) - bury

beten - pray

e Bibel (-n) - Bible

darauf - thereupon

e Fahne (-n) - flag

s Feuer (-) - fire

fliehen (o, o) - flee

fortgehen - (ging fort, fortgegangen) - go away, leave; go on

r Frieden - peace

gebären (a, o) - bear, give birth to

e Hitze - heat

e Königin (-nen) - queen

s Königreich (-e)- kingdom

lassen (ä; ie, a) - let; have (something done)

liegen (a, e) - lie; be situated

nennen (nannte, genannt) - name, call

e Ruhe - peace, quiet

r Sarg (¨-e) - coffin

schauen - look

r Schlüssel (-) - key

sterben (i; a, o) - die

e Stube (-n) - room

töten - kill

r Turm (¨-e) - tower

Wache halten (hält; ie, a) - stand guard

wärmen - warm

e Welt (-en) - world

Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden miteinander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau: "Wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit das Königreich ihr allein zufällt."

Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Totenkißchen. Er ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, dann gab er der Königin den Schlüssel und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen.

Buben = Jungen / sollen: shall (in the sense of "are to," thus an indication of determination or necessity, not of futurity) / zufällt: falls to / Hobelspäne: wood shavings / Totenkißchen: little death pillows  / ließ sie bringen: had her brought / verschlossen: locked  / gebot: commanded

Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach: "Liebe Mutter, warum bist du so traurig?"

"Liebes Kind", antwortete sie, "ich darf dir's nicht sagen."

Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie ging und die Stube aufschloß, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Totenladen zeigte. Darauf sprach sie: "Mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesamt getötet und darin begraben werden."

trauerte: grieved / Bibel: Bible / mit Hobelspänen schon gefüllt: (extended adjective) which were already filled with wood shavings  / Totenladen: death cases / allesamt: all together  / begraben werden: (present passive infinitive) be buried

 

Und als sie weinte, während sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte: "Weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns schon helfen und wollen fortgehen."

Sie aber sprach: "Geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist und halte Wache und schaue nach dem Turm hier im Schloß. Gebär' ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen. Gebär' ich ein Töchterlein, so will ich eine rote Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet."

während: while (as a preposition, während means "during")  / tröstete: consoled / einer setze sich: one [of you] should sit / Gebär' ich: If I give birth to (when expressed without wenn, an introductory conditional clause begins with the verb) / der liebe Gott behüte euch: may the dear God protect you  / alle Nacht = jede Nacht / schmachtet: languish
Beantworten Sie die folgenden Fragen!

1. Wieviele Kinder hatten der König und die Königin?

2. Warum will der König die Jungen töten lassen, wenn seine Frau ein Mädchen gebärt?

3. Welche Vorbereitungen auf den möglichen Tod seiner Jungen machte der König?

4. Wem gab er den Schlüssel zu dem Zimmer, wo die Särge lagen?

5. Was fragte der kleine Benjamin seine Mutter, als er sah, wie traurig sie war?

6. Antwortete sie zuerst auf seine Frage? Warum antwortete sie dann endlich doch?

7. Wie versuchte der Sohn, die Mutter zu trösten?

8. Wo sollte einer der Brüder immer Wache halten?

9. Wohin sollte dieser schauen?

10. Was würde es dort zu sehen geben?

11. Was würde es bedeuten, wenn ein Bruder eine weiße Fahne sähe?

12. Was sollte die Bedeutung von einer roten Fahne sein?

13. Was will die Mutter für ihre Söhne machen, wenn sie fliehen müssen?

 
s Blut - blood

daheim - at home

ehe - (conj.) before

e Eiche (-n) - oak tree

eintreten (tritt; a, e) - enter

fließen (o, geflossen) - flow

gehören - belong to (w/ dat.)

r Hase (-n, -n) - rabbit

heimlich - secret(ly)

s Hemd (-en) - shirt

r Himmel (-) - heaven; sky

königlich - royal

leer - empty

leiden (litt, gelitten) - suffer

sich rächen - get revenge

s Reh (-e) - deer

schießen (o, -ossen) - shoot

 

schwach - weak

schwören (o [u], o) - swear

segnen - bless

r Stern (-e) - star

e Stirne (-n) - forehead

e Taube (-n) - pigeon

r Vogel (¨) - bird

e Wäsche (-n) - laundry, was

 

Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, gingen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wache, saß auf der höchsten Eiche und schaute nach dem Turm. Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er, wie eine Fahne aufgesteckt wurde. Es war aber nicht die weiße, sondern die rote Blutfahne, die verkündete, daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das hörten, wurden sie zornig und sprachen: "Sollen wir eines Mädchens willen den Tod leiden! Wir schwören, daß wir uns rächen wollen: wo wir ein Mädchen finden, soll ihr rotes Blut fließen.
einer um den andern: one after another / die Reihe...kam: it was Benjamin's turn  / da: (omit in translation) / verkündete: announced / eines Mädchens willen: on account of a girl

Darauf gingen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie: "Hier wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir andern wollen ausgehen und Essen holen."

Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Täubchen, und was zu essen stand. Das brachten sie dem Benjamin, der mußte es ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. In dem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen, und die Zeit wurde ihnen nicht lang.

mitten drein = mitten darin: right in the very middle / haushalten: keep house / was zu essen stand: whatever was edible / zurecht machen: prepare
 

 

Das Töchterchen, das ihre Mutter, die Königin, geboren hatte, war nun herangewachsen, war gut von Herzen und schön von Angesicht und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah sie darunter zwölf Mannshemden und fragte ihre Mutter: "Wem gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?"

Da antwortete sie mit schwerem Herzen: "Liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern."

Das Mädchen sprach: "Wo sind meine zwölf Brüder, ich habe noch niemals von ihnen gehört."

Sie antwortete: "Das weiß Gott, wo sie sind. Sie irren in der Welt herum."

herangewachsen: grown up / war gut...Angesicht: had a good heart and a beautiful appearance / Mannshemden: men's shirts
 
 

 

Da nahm sie das Mädchen und schloß ihr das Zimmer auf, und zeigte ihr die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Totenkißchen. "Diese Särge", sprach sie, "waren für deine Brüder bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst", und erzählte ihr, wie sich alles zugetragen hatte.

Da sagte das Mädchen: "Liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Brüder suchen."

Nun nahm sie die zwölf Hemden und ging fort und geradezu in den großen Wald hinein. Sie ging den ganzen Tag, und am Abend kam sie zu dem verwünschten Häuschen. Da trat sie hinein und fand einen jungen Knaben, der fragte: "Wo kommst du her und wo willst du hin?" und erstaunte, daß sie so schön war, königliche Kleider trug und einen Stern auf der Stirne hatte. Da antwortete sie: "Ich bin eine Königstochter und suche meine zwölf Brüder und will gehen, so weit der Himmel blau ist, bis ich sie finde."

bestimmt: intended / eh = ehe / sich zugetragen hatte: had happened / geradezu: straight / erstaunte: was astonished

 

Beantworten Sie die folgenden Fragen!

1. Wann hielt Benjamin Wache?

2. Was sah er dabei?

3. An wem wollten sich die Brüder rächen?

4. Was fanden die Brüder in der Mitte des Waldes?

5. Was sollte Benjamin für die Brüder machen?

6. Was haben die Brüder zu essen gefunden?

7. Wie lange lebten sie vergnügt im Walde?

8. Wie sah die jetzt schon herangewachsene Tochter aus?

9. Was wollte das Mädchen wissen, als sie die zwölf Hemden sah?

10. Wie antwortete die Mutter auf die Frage der Tocher, wo ihre Brüder jetzt wohl seien?

11. Was zeigte sie der Tochter, und was erklärte sie ihr dabei?

12. Warum sollte die Mutter nicht weinen?

13. Was nahm das Mädchen mit in den Wald?

14. Wie lange brauchte sie, um das Häuschen der Brüder zu finden?

15. Was fragte der Junge, den sie fand?

16. Worüber erstaunte der Junge?

17. Wie antwortete das Mädchen auf seine Frage?

 
abbrechen (i; a, o) - break off

r Augenblick (-e) - moment

begegnen (w/ dat.) - meet

bereit - ready

decken - cover

derselbe (dieselbe,

dasselbe) - the same

fein - fine; excellent

fliegen (o, o) - fly

sich freuen - be happy

e Gnade - grace

r Hals (¨-e) - neck; throat

s Holz (¨-er) - wood

hübsch - pretty

e Jagd (-en) - hunt

kochen - cook, make

küssen - kiss

leben - live, be alive

e Lilie (-n) - lily

e Mahlzeit (-en) - meal

e Ordnung (-en) - order, arrangement

e Rabe (-n) - raven

schenken - give (as a gift)

r Topf (¨-e) - pot

s Vergnügnen (-) - pleasure

verlassen (ä; ie, a) - leave (tr.)

voller - full of

zufrieden - content, satisfied

Sie zeigte ihm auch die zwölf Hemden, die ihnen gehörten. Da sah Benjamin, daß es seine Schwester war, und sprach: "Ich bin Benjamin, dein jüngster Bruder."

Und sie fing an zu weinen vor Freude, und Benjamin auch, und sie küßten und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er: "Liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten verabredet, daß ein jedes Mädchen, das uns begenete, sterben sollte, weil wir um ein Mädchen unser Königreich verlassen mußten."

Da sagte sie: "Ich will gerne sterben, wenn ich damit meine zwölf Brüder erlösen kann."

herzten: hugged / Vorbehalt: reservation   / hatten verabredet: had agreed / ein jedes Mädchen: every girl

 

"Nein", antwortete er, "du sollst nicht sterben. Setze dich unter diese Bütte, bis die elf Brüder kommen, dann will ich schon einig mit ihnen werden."

Also tat sie; und wie es Nacht wurde, kamen die andern von der Jagd, und die Mahlzeit war bereit. Und als sie am Tische saßen und aßen, fragten sie: "Was gibt's Neues?"

Benjamin sprach: "Wißt ihr nichts?"

"Nein", antworteten sie.

Er sprach weiter: "Ihr seid im Walde gewesen, und ich bin daheim geblieben, und weiß doch mehr als ihr."

"So erzähle uns", riefen sie.

Bütte: tub / einig werden: come to an agreement / Also tat sie: She did so
 
 

 

Er antwortete: "Versprecht ihr mir auch, daß das erste Mädchen, das uns begegnet, nicht soll getötet werden?"

"Ja", riefen alle, "die soll Gnade haben. Erzähle uns nur."

Da sprach er: "Unsere Schwester ist da", und hub die Bütte auf, und die Königstochter kam hervor in ihren königlichen Kleidern mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so schön, zart und fein. Da freuten sie sich alle, fielen ihr um den Hals und küßten sie und hatten sie von Herzen lieb.

Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in der Arbeit. Die elfe zogen in den Wald, fingen Gewild, Rehe, Vögel und Täuberchen, damit sie zu essen hatten, und die Schwester und Benjamin sorgten, daß es zubereitet wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen und die Kräuter zum Gemüse, und stellte die Töpfe ans Feuer, also daß die Mahlzeit immer fertig war, wenn die elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im Häuschen, und deckten die Bettlein hübsch weis und rein, und die Brüder waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.

zart: tender, delicate / elfe: eleven (one-syllable cardinal numbers can have endings when they do not modify nouns)  / Gewild: game  / Täuberchen: little cock pigeons  / sorgten: took care  / zubereitet wurde: was prepared / Kräuter: herbs / auch sonst: also (besides that) / hübsch weiß: nice and white / Einigkeit: harmony
 

Auf eine Zeit hatten die beiden daheim eine schöne Kost zurechtgemacht, und wie sie nun alle beisammen waren, setzten sie sich, aßen und tranken und waren voller Freude. Es war aber ein kleines Gärtchen an dem verwünschten Häuschen, darin standen zwölf Lilienblumen, die man auch Studenten heißt. Nun wollte sie ihren Brüdern ein Vergnügen machen, brach die zwölf Blumen ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken.

Wie aber sie die Blumen abgebrochen hatte, in demselben Augenblick wurden die zwölf Brüder in zwölf Raben verwandelt und flogen über den Wald hin fort, und das Haus mit dem Garten war auch verschwunden.

auf eine Zeit: for one occasion / Kost: fare (menu) / beisammen: together / Gärtchen: a small garden / heißt: calls / aufs Essen: along with the meal
Beantworten Sie die folgenden Fragen!

1. Was zeigte das Mädchen ihrem Bruder Benjamin?

2. Was machten Benjamin und das Mädchen, nachdem sie erkannt hatten, daß sie Bruder und Schwester seien?

3. Was war der Vorbehalt, von dem Benjamin sprach?

4. Mit welchen Worten zeigte das Mädchen, daß sie ihre Brüder sehr liebte?

5. Warum sollte die Schwester sich unter die Bütte setzen?

6. Was fragten die Brüder, als sie am Tisch saßen und aßen?

7. Was mußten die Brüder versprechen, eheBenjamin erzählte, was an dem Tag geschehen sei?

8. Was war die große Nachricht, die Benjamin zu erzählen hatte?

9. Was machten die Brüder, nachdem Benjamin die Bütte aufgehoben hatte?

10. Wie half das Mädchen dem Benjamin zu Hause?

11. Was machte eines Tages die Schwester im kleinen Garten neben dem Häuslein?

12. Was geschah in dem Augenblick, wo die Blumen abgebrochen wurden?

 
anfangen - (here) do  

befreien - liberate

bellen - bark

e Braut (¨-e) - fiancee; bride

s Ding (-e) - thing

einzig - only (adj.)

entzückt - delighted, charmed

fehlen - be missing, be absent

feiern - celebrate

gemein - common; mean

gewiß - certain(ly)

s Gewissen (-) - conscience

e Hochzeit (-en) - wedding

jagen - hunt, chase

lachen - laugh

s Mittel (-) - means

nicken - nod

ein paar - several, a few

e Schönheit (-en) - beauty

schreien (ie, ie) - shout, scream; wail

spines (a, o) - spin

stumm - dumb, mute

e Stunde (-n) - hour; lesson

umsonst - in vain

zum Tod verurteilen - con demn to death

r Windhund (-e) - greyhound

 

Da war nun das arme Mädchen allein in dem wilden Wald, und wie sie sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihr, die sprach: "Mein Kind, was hast du angefangen? Warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen? Das waren deine Brüder, die nun auf immer in Raben verwandelt sind."

Das Mädchen sprach weinend: "Ist denn kein Mittel, sie zu erlösen?"

"Nein", sagte die Alte, "es ist keins auf der ganzen Welt als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden von dem einen Wort getötet."

sich umsah: looked around / als eins: except one / und sprichst du: and if you speak / werden getötet (werden): future tense, passive voice

 

Da sprach das Mädchen in ihrem Herzen: "Ich weiß gewiß, daß ich meine Brüder erlöse", und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann, und sprach nicht und lachte nicht.

Nun trug es sich zu, daß ein König in dem Wald jagte, der hatte einen großen Windhund. Der Hund lief zu dem Baum, wo das Mädchen darauf saß, und sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei und sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er ihr zurief, ob sie seine Gemahlin werden wollte.

Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Da stieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd und führte sie heim. Da wurde die Hochzeit mit großer Pracht und Freude gefeiert; aber die Braut sprach nicht und lachte nicht.

trug es sich zu: it happened / wo darauf: in which / kam herbei: approached / ihr zurief, ob: called to her and asked if / Gemahlin: wife / nickte mit: (nicken, unlike "nod," is always intransitive) / führte sie heim: took her home / Pracht: splendor
 

Als sie ein paar Jahre miteinander vergnügt gelebt hatten, fing die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verleumden und sprach zum König: "Es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast. Wer weiß, was für gottlose Streiche sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein böses Gewissen."

Der König wollte zuerst nicht daran glauben, aber die Alte trieb es so lange und beschuldigte sie viel böser Dinge, daß der König sich endlich überreden ließ und sie zum Tod verurteilte.

vergnügt: happily / verleumden: calumniate / Bettelmädchen: beggar girl / Streiche: pranks  / treibt: does / beschuldigte: accused  / viel böser Dinge: (genitive) of..
Beantworten Sie die folgenden Fragen!

1. Wer stand auf einmal neben dem Mädchen?

2. Wie erklärte die alte Frau die Tragödie, die sich eben abgespielt hatte?

3. Wie antwortete die Frau auf die Frage des Mädchens, ob es nicht doch ein Mittel gäbe, die Brüder zu erlösen?

4. Wohin ging das Mädchen dann?

5. Wie entdeckte der fremde König das Mädchen oben auf dem Baum?

6. Wie gefiel sie dem König?

7. Was fragte er sie?

8. Wie antwortete das Mädchen auf seine Frage?

9. Was war das Ungewöhnliche an der königlichen Hochzeit, die folgte?

10. Wie sprach die Mutter des Königs über die junge Königin?

11. Wie erklärte die Mutter des Königs die Stummheit der jungen Königin?

12. Glaubte der König das, was seine Mutter sagte?

13. Was sollte die Strafe der Königin sein?

 
anzünden - light, set on fire

auftun (tat auf, aufgetan) - open

berühren - touch

e Erde (-n) - earth; ground

s Faß (¨-sser) - barrel

e Flamme (-n) - flame

giftig - poisonous

r Hof (¨-e) - courtyard; yard; court

lecken - lick

e Luft (¨-e) - air

s Öl - oil

r Pfahl (¨-e) - stake

e Schlange (-n) - snake

e Stiefmutter (¨) - stepmother

r Tod - death

unschuldig - innocent

verbrennen (verbrannte, verbrannt) - burn (tr.)

e Zunge (-n) - tongue

zusehen (ie; a, e) - watc

Nun wurde im Hof ein großes Feuer angezündet, darin sollte sie verbrannt werden. Und der König stand oben am Fenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie immer noch so lieb hatte. Als sie schon an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer an ihren Kleidern mit roten Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen. Da ließ sich in der Luft ein Geschwirr hören, und zwölf Raben kamen hergezogen und senkten sich nieder. Und wie sie die Erde berührten, waren es ihre zwölf Brüder, die sie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, löschten die Flammen, machten ihre liebe Schwester frei, und küßten und herzten sie.
war eben verflossen: had just elapsed / ließ sich hören: made itself heard  Geschwirr: whirring / kamen hergezogen: came moving in / senkten sich nieder: landed / rissen auseinander: tore apart  / löschten: extinguished
Nun aber, da sie ihren Mund auftun und reden durfte, erzählte sie dem Könige, warum sie stumm gewesen wäre und niemals gelacht hätte. Der König freute sich, als er hörte, daß sie unschuldig war, und sie lebten nun alle zusammen in Einigkeit bis an ihren Tod. Die böse Stiefmutter wurde vor Gericht gestellt und in ein Faß gesteckt, das mit siedendem Öl und giftigen Schlangen angefüllt war, und starb eines bösen Todes.
Einigkeit: harmony  / zusammen: together / wurde vor Gericht gestellt: was brought to court  / siedend: boiling / angefüllt: filled
Beantworten Sie die folgenden Fragen!

1. Zu welchem Zweck wurde ein großes Feuer angezündet?

2. Warum weinte der König?

3. Wann waren die sieben Jahre zu Ende?

4. Was kam herangeflogen?

5. In was wurden die Raben verwandelt?

6. Was machten die Brüder, um die Schwester zu befreien?

7. Was erzählte das Mädchen dem König?

8. Wie ist es der bösen Stiefmutter ergangen?

Kurze Aufsätze

Schreiben Sie einen Aufsatz, in dem Sie erklären, warum das Märchen "Die zwölf Brüder" nicht so beliebt geworden ist wie die ersten zwei Märchen in diesem Buch!

In vielen Märchen sprechen die guten Mädchen wenig. Wie ist das wohl zu erklären?

 

Getting with Grammar

The German indefinite article (English "a," "an") has the following forms: (Note that forms of kein are used as plural examples because ein has no plural forms.)
  masc. fem. neut. plur.
nom. ein eine ein keine
acc. einen eine ein keine
dat. einem einer einem keinen
gen. eines einer eines keiner

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In a German subordinate clause, the conjugated verb is placed last. (The conjugated verb is the verb that changes its form as the person and number of the subject change; it occupies the second position in a main clause.)

Main clause, conjugated verb second: Sie mußten ihr Königreich verlassen.

Subordinate clause, conjugated verb last: ...weil sie ihr Königreich verlassen mußten.

* * * * *

 

Kein and the possessive adjectives (mein, dein, sein, ihr, unser, Euer, Ihr) are called ein-words because they take the same endings as ein).

* * * * *

In German the accusative case is used for expressions of definite time, e.g., den ganzen Tag, nächste Woche, letztes Jahr. The genitive case is used for expressions of indefinite time, e.g., eines Tages, eines Abends, eines Nachts (oddly enough, because Nacht is a feminine noun).

* * * * *

The two ways of expressing "in 1975" in German are simply 1975 (without a preposition) and im Jahre 1975. Examples:

Sie ist im Jahre 1975 geboren.

Er ist auch 1975 geboren?

It is not grammatically correct to put the year immediately after in or im.

"On April 19, 1941" is written in German this way: am 19. April 1941. Except at the end of a sentence, a period after a number indicates an ordinal number, i.e., first, second, third, etc.

* * * * *

The following German prepositions always take dative objects:

aus - out of; from

außer - besides; except

bei - with; at the house of; by

mit - with

nach - after; to; according to

seit - since (temporal)

von - from; by; of

zu - to; at

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